Scheinselbständigkeit: ja, nein, vielleicht. – Erfahrungen aus dem „Nähkästchen“.

Als „Scheinselbständigkeit“ bezeichnet man in Deutschland Tätigkeiten, die ein selbständiger Unternehmer ausübt, die aber genau so gut ein Mitarbeiter des Unternehmens machen könnte. Die Rentenversicherung wird in der Regel dann hellhörig, sobald der Selbständige in einem nicht unerheblichen Umfang in die Prozesse des Unternehmens eingebunden ist.

Im Ergebnis geht es dabei um Frage, ob nicht vielleicht doch Versicherungsbeiträge, wie Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, unter Umständen auch Krankenversicherung und Pflegeversicherung, abgeführt werden müssen, die sich der Selbständige (und auch der Auftraggeber) in der Regel gerne spart, bei angestellten Mitarbeitern aber typischerweise anfallen.

In dem beschriebenen Fall handelte es sich um einen Auftrag, der nur einen Teil des monatlichen Zeitkontingents ausfüllt. Auftraggeber und Auftragnehmer hatten sich in Abstimmung miteinander auf eine Statusüberprüfung bei der Deutschen Rentenversicherung geeinigt, um eine böse Überraschung zu einem späteren Zeitpunkt zu vermeiden.

Meine Erfahrungen, die ich im Laufe dieses Statusfeststellungsverfahrens gemacht habe, möchte ich im Folgenden in einigen Auszügen wiedergeben, die mir wichtig erscheinen:

Die wichtigste Erkenntnis vorab: Die landläufige Meinung, dass der Umfang der Tätigkeit im Verhältnis zu anderen Aufträgen das ausschlaggebende Kriterium für eine Scheinselbständigkeit ist, scheint nicht (oder nicht mehr) zu stimmen. Es nützt also nichts, wenn genug andere Auftraggeber vorhanden sind und die konkrete Tätigkeit nur eine untergeordnete Rolle spielt. Sobald die einzelne Tätigkeit so in den Unternehmensprozess eingebunden ist, dass diese einer typischen Tätigkeit eines angestellten Mitarbeiters nahe kommt, wird es problematisch.

„Haben Sie Weisungsbefugnis und wenn ja, wem gegenüber? Sind Ihre Tätigkeiten mit den Aufgaben eines festangestellten Mitarbeiters austauschbar? Nehmen Sie an regelmäßigen Arbeitsbesprechungen teil? Vertreten Sie festangestellte Mitarbeiter des Auftraggebers? ….. lauten die typischen Fragen im Fragenkatalog.

Wichtig scheint auch die Tatsache, wie und in welcher Form Aufträge erteilt werden und auf welche Weise diese abgearbeitet werden. Können Aufträge abgelehnt werden? Welche Haftung übernimmt der Auftragnehmer bei fehlerhafter Ausführung? Werden Aufträge ausschließlich durch den Auftragnehmer selbst bearbeitet oder setzt dieser auch Mitarbeiter oder Subauftragnehmer ein? Was passiert z. B. im Urlaubsfall? etc. etc.

Einige Fragen waren allerdings auch etwas verwunderlich, aus meiner Sicht praxisfremd oder verleiten zu Spekulationen:

Frage: Nehmen Sie an Team- oder Mitarbeiterbesprechungen teil?
Was will ich dazu sagen? Aus meiner Sicht ist die Teilnahme an Teambesprechungen wichtig, um inhaltlich auf dem Laufenden zu bleiben und einen unnötigen Kommunikationsverlust zu vermeiden.

Frage: Welche Unterschiede bestehen in der Bezahlung zwischen Ihnen und einem festangestellten Mitarbeiter?
Diese Frage animiert zu Spekulationen. Jede Antwort kann falsch sein. Denn wie mein Auftraggeber seine Mitarbeiter bezahlt, entzieht sich in der Regel meiner Kenntnis und spielt auch für meine Tätigkeit keine Rolle.

Frage: Treten Sie in der Wahrnehmung Dritter als Mitarbeiter des Auftraggebers auf?
Auch diese Frage ist rein spekulativ. Um sie zu beantworten, müsste ich zunächst einen sog. „Dritten“ fragen. Und eine Wahrnehmung ist immer subjektiv, kann bei jedem anders sein.

Frage: Welche unternehmerischen Chancen sehen Sie in dieser Tätigkeit?
Naja, im Grunde die gleiche Chance wie die meisten anderen Unternehmer auch: nämlich Geld zu verdienen, die eigene Existenz zu sichern und das Unternehmen wachsen zu sehen. Aus der späteren Rückmeldung geht hervor, dass genau an dieser Stelle die Beschreibung einer persönlichen Chance für mein Unternehmen erwartet worden wäre. Gegenfrage: Welche unternehmerische Chance sieht ein Arzt, wenn er einen Patienten behandelt, ein Klempner, der meinen Wasseranschluss reparariert, oder ein Gärtner, der meinen Rasen mäht ….. usw.

Inwieweit die Antworten auf die Fragen überhaupt etwas bewirken, vermag ich nicht zu beurteilen. Insgesamt hatte ich nicht den Eindruck, dass bei dem späteren Bescheid meine Antworten auch nur ansatzweise berücksichtigt wurden. Nach meinen Recherchen wird die überwiegende Zahl der beantragten Statusfeststellungen als abhängige Tätigkeit eingestuft. Das mag aber auch daran liegen, dass es sich bei den eingereichten Statusfeststellungen auf Scheinselbständigkeit ohnehin von vornherein um Grenzfälle handelt, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer Angestelltentätigkeit sehr groß ist.

Der konkrete Ablauf sieht dann wie folgt aus:

  1. Auftraggeber oder Auftragnehmer stellen einen Antrag auf eine sog. Statusfeststellung. Zuständig ist die Clearingsstelle der Deutschen Rentenversicherung (DRV).
  2. Auftraggeber und Auftragnehmer erhalten einige Zeit später einen ausführlichen Fragenkatalog, den sie innerhalb einer Frist unabhängig voneinander beantworten müssen.
  3. Das Ergebnis der Prüfung kommt dann einige Wochen später – zunächst in Form einer „Anhörung“. „Wir beabsichtigen folgenden Bescheid zu erlassen …..“. Auf diese Anhörung besteht nun die Möglichkeit, innerhalb einer gesetzten Frist Stellung zu nehmen.
  4. Danach ergeht der formelle  „Bescheid“, gegen den innerhalb eines Monats Widerspruch möglich ist.
  5. Ist eine der beteiligten Parteien mit dem Bescheid nach dem Widerspruch noch immer nicht einverstanden, besteht die Möglichkeit der Klageeinreichung beim zuständigen Sozialgericht.

Bearbeitungszeit: Eingereichter Antrag auf Statusfeststellung ca. Mitte April, Bescheid nach dem Widerspruch Mitte Dezember – also ca. 8 Monate. Ich frage mich, wie ein Unternehmer, dessen Handlungsfähigkeit oder dessen weitere Aktivitäten mit diesem Kunden von dieser Entscheidung abhängen, in der Zwischenzeit agieren soll. 8 Monate sind eine lange Zeit. Zu lange, um den Kopf in den Sand zu stecken und abzuwarten.

Fazit und Tipp:

Wer eine Tätigkeit annimmt, die auch nur ansatzweise als Scheinselbständigkeit gesehen werden kann, sollte vorher die Konsequenzen genau abwägen. Wichtig ist ein konkretes Szenario, wie die nächsten Schritte aussehen, wenn die Statusüberprüfung so oder anders ausfällt. In vielen Fällen hat die Entscheidung für eine „abhängige Beschäftigung“ ja auch Vorteile. Man zahlt Arbeitslosenbeiträge und erhält im Gegenzug natürlich auch Arbeitslosengeld, vorausgesetzt es wurde lange genug eingezahlt und es gibt nicht allzu viele Einnahmen, die gegengerechnet werden können. Unter Umständen ergibt sich durch die Tätigkeit auch die Möglichkeit des Wechsels der Krankenversicherung (von der Privaten zurück in die Gesetzliche, was unter „normalen“ Bedingungen ja kaum möglich ist).

Also wenn überprüfen, dann auf jeden Fall alles überprüfen – und nicht nur die Nachteile, sondern auch die möglichen Vorteile mitnehmen.

Entscheidet man sich nach der Statusfeststellung zu einem regulären Arbeitsvertrag, ist es wichtig darauf zu achten, dass dieser neben dieser Tätigkeit auch noch andere Tätigkeiten zulässt (sprich die eigentliche unternehmerische Haupttätigkeitkeit in diesem Vertrag nicht ausgeschlossen wird). Wichtig ist auch, dass die erforderliche Flexibilität erhalten bleibt, die die sonstige selbständige Tätigkeit in der gewohnten Weise weiterhin zulässt.

Man kann natürlich auch einfach nichts tun, abwarten und hoffen, dass keiner drauf kommt … hmm. Allerdings dann mit dem entscheidenden Nachteil, dass man am Ende nur noch reagieren kann, weil die Situation im Nachhinein nicht mehr beeinflussbar ist. … und man unter Umständen mehrere Jahre Sozialversicherung nachzahlen „darf“.

Anmerkung: Diese Geschichte stellt ausschließlich meine persönliche Erfahrung sowie die Ergebnis in diesem speziellen Fall dar, die in anderen Situationen wieder komplett anders aussehen können. Auch Einzelheiten spielen eine große Rolle, die ich bewusst weggelassen habe, um den Blick auf die wesentlichen Informationen nicht zu beeinträchtigen. Der Bericht ist daher KEINE Rechtsberatung. Bitte sprechen Sie im konkreten Einzelfall mit einem Steuerberater, Anwalt oder Ihrer Versicherung.